Prachtvoller Saal

Blind

Würdest du dich in ein Auto setzen, das von einem Blinden gesteuert wird? Wahrscheinlich nicht. Ich habe einmal eine Führung in einer Blindenanstalt mitmachen dürfen. Dem Guide, selber blind, hätte man es kaum angemerkt, dass er nicht sehen kann, denn er kannte jeden Schritt, wusste, wo Bilder an der Wand hängen oder wo er einem Hindernis ausweichen musste. Das war eine großartige Erfahrung für mich.

Aber dass ein Blinder ein Auto (kein selbstfahrendes, sondern ein ganz normales) führen können würde, daran glaubt wohl niemand. Er kann ja nichts sehen, weiß nicht, wo er langfahren muss, wie er dem nächsten Hindernis ausweicht oder welche Farbe die Ampel hat.

Aber genau solche Menschen, die nicht sehen, was auch nur eine Minute später in ihrem oder unserem Leben geschehen wird, wollen uns erzählen, wie das Leben funktioniert. Egal, welches Video ich bei YouTube anschauen will, jedes Mal erscheinen vorher ein paar merkwürdige Menschen mit ihrer Werbung, die mir erzählen, dass sie genau wissen, wo es im Leben langgeht und wie man erfolgreich wird.

Heilstätte Grabowsee

Bewusst geworden, wie leichtsinnig das ist, hat mir ein weiterer Besuch eines „Lost Places“ gezeigt. Am Wochenende besuchten wir bei wunderbarem Wetter die ehemalige Heilstätte Grabowsee. Das kostet zwar ein wenig Eintritt, lohnte sich aber umso mehr. Ende des 19. Jahrhunderts baute das Rote Kreuz diese Lungenklinik mitten im Grünen in der Nähe Oranienburgs.

Nachdem die Nazis es als Lazarett im Krieg genutzt hatten, übernahmen es die Sowjets nach dem Krieg. 25 Jahre ist es gerade einmal her, dass sie das Gelände mit den wunderschönen Häusern verließen; 25 Jahre, die ausreichten, aus einem Kleinod eine Ruinenlandschaft mit morbidem Charme werden zu lassen.

Alles ist vergänglich im Leben

Alles, was entsteht, vergeht auch wieder. David schreibt in einem seiner Lieder: „Herr, lass mich erkennen, wie kurz mein Leben ist und dass meine Tage gezählt sind; wie vergänglich bin ich doch“ (Psalm 39, 5 HfA). Es mag sein, dass Menschen, die bei YouTube damit werben, mich erfolgreich zu machen, es wirklich schaffen, aus meinem Leben ein stattliches Anwesen werden zu lassen. Bald schon wird es genauso verfallen, wie die Gemäuer der Heilstätten.

Es mag sein, dass mir jemand beibringen kann, Geld zu verdienen, einflussreicher zu werden oder selbstbewusster aufzutreten. Und es mag auch sein, dass ich dadurch in diesem Leben „erfolgreicher“ bin. Aber letztendlich sind alle diese Coaches und Trainer wie Blinde hinter dem Steuer eines Autos. Denn eigentlich wissen auch sie nichts.

Sie wissen nicht, was morgen passiert. Sie wissen nicht, ob sie in einer Woche noch leben oder schon tot sind. Und sie wissen nicht, was den anderen (oder sie selbst) wirklich glücklich macht. Weder das verdiente Geld, noch Einfluss oder Selbstbewusstsein haben Bestand. Ich kann heute eine Million Euro gewinnen und morgen keine Chance haben, mir auch nur ein Eis davon kaufen zu können.

Aber so funktioniert Werbung

Menschen, die selbst keine Ahnung haben, wie Leben funktioniert, suggerieren uns, dass sie unser Leben reich und erfolgreich machen können. Und sie treffen damit ja anscheinend einen Nerv, denn sonst würde sich die Investition in Werbung nicht lohnen.

„Herr, lass mich erkennen, wie kurz mein Leben ist und dass meine Tage gezählt sind!“ Worauf baust du dein Leben? Was macht dich wirklich glücklich? Was in deinem Leben hat Bestand, auch wenn Finanzkrisen und Pandemien über das Land fegen? Und vor allem: Wer sitzt hinter dem Steuer deines Lebens?

Vielleicht gar nicht so verkehrt, darüber nachzudenken. Das verhindert, dass wir auf andere hereinfallen, die auch nicht wissen, wie Leben funktioniert. Das verhindert, dass auch wir unser Leben auf Sand bauen und es hilft zu finden, wer und was uns wirklich glücklich macht. Und das wäre doch ein guter Anfang!

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de

Fast schon ein „Oldtimer“ aber immer noch gut und inhaltlich absolut richtig: