Eine Leiter steht vor einer Bücherwand in einer Bibliothek

Veränderung

Die letzten Monate haben uns alle sehr verändert. Die Debatten um Corona und die Maßnahmen der Regierungen spalten unser Land, spalten Familien, Freundschaften und auch Gemeinden. Auch ich merke mehr und mehr, dass ich genervt auf Diskussionen reagiere, merke, wie Lieblosigkeit mich immer mehr packt und meine Reaktionen davon geprägt werden. Wo soll das nur alles enden?

Paulus schreibt etwa 54 nach Christus in seinem Brief an die Gemeinde in Galatien: „Wer dieses eine Gebot befolgt: »Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!«, der hat das ganze Gesetz erfüllt“ (Galater 5, 14). Der Verstand sagt uns ganz klar: Mit Arroganz, Aggressionen und Druck werden wir niemanden zum Nachdenken oder gar zum Umdenken bewegen. 

Und dennoch reagieren wir immer und immer wieder genau gegen diese Erkenntnis. Je länger man sich in Diskussionen besonders über Corona und die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie einlässt, desto schärfer wird geschossen. Ich nehme mich da nicht aus und bin alles andere als stolz darauf. 

Druck und Gegendruck

Wer sich dann im Innern über die Art und Weise des Gesprächs aufregt, der könnte sich ziemlich einfach fragen: „Habe ich den anderen so behandelt, wie ich behandelt werden will? Habe ich den anderen so geliebt, wie ich mich selbst liebe? Wie hätte es mich (positiv oder negativ) berührt, wenn mich meine eigenen Worte von meinem Gegenüber getroffen hätten?“

Eigentlich ist es ganz einfach und dennoch so unendlich schwer umzusetzen, weil wir uns viel zu schnell reizen lassen und andere reizen. Und das, obwohl wir wissen, dass Druck nur Gegendruck erzeugt, obwohl wir eigentlich die Kraft von Freundlichkeit kennen. 

Es ist erst ein paar Tage her, als ich in einem Supermarkt einkaufen war. Auch dort empfinde ich die Stimmung in letzter Zeit als besonders gereizt. Neben mir stand ein Mann am Obst- und Gemüsestand und suchte – ebenso wie ich – etwas im Regal. Er hatte seinen Einkaufswagen so geparkt, dass ich nicht an das Regal herabkam und brummelte missmutig vor sich her. 

Ich näherte mich, er machte nicht nur Platz, sondern gab mir, was ich gesucht hatte, auch noch aus dem Regal in meine Hand. Ich bedankte mich bei ihm. Einen Moment lang schaute er mich etwas irritiert an, dann sagte er: „Ich hab doch gar nichts Großes getan!“

Ich lächelte (wohl kaum sichtbar, weil unter meiner Maske) und antwortete: „Doch, sie waren freundlich zu mir, das ist nicht selbstverständlich!“ Seine Mimik veränderte sich schlagartig so sehr, dass man es trotz Maske deutlich sah. Er wünschte mir mit einer völlig veränderten Stimme einen „wunderschönen Abend“ und zog seines Weges. 

Noch mehrere Male kreuzten sich unsere Wege in diesem großen Supermarkt – und jedes Mal winkte der Mann mir freundlich zu. Wahrscheinlich werden wir uns nie wiedersehen oder wenn, dann vielleicht gar nicht mehr erkennen. Dennoch hat diese kleine Begegnung etwas bewegt und mich ein Stück verändert. 

Freundlichkeit hat Kraft

Ich bete darum, dass ich ein Christ werde, den man an der Liebe erkennt (zu mir selbst und zu meinem Nächsten). Ich bete darum, dass Gott mein Herz so erfüllt, dass ich auch auf Egoismus und selbst auf Dummheit mit Freundlichkeit reagieren kann (hier muss Gott an mir ein großes Wunder tun). 

Freundlichkeit hat einen großen Wert, Freundlichkeit hat Kraft. Es sind oft die kleinen Gesten, die etwas bewegen – das Aufhalten einer Tür, das Grüßen des Busfahrers oder das Danksagen im Geschäft, ein kleines, freundliches Lächeln, eine Frage, ob man helfen kann oder das Aufstehen in Bus und Bahn. 

Alles Dinge, die uns eigentlich nicht schwerfallen, die aber, wenn viele von uns mitmachen, das Klima der Mitmenschlichkeit nachhaltig verändert. Du musst keine große Party schmeißen, keine riesigen Aktionen stemmen, um etwas zu bewegen. Denke an das Kleine, deinen Alltag. Dort können wir viel bewegen – wenn wir nur anfangen. 

Da ich meine Zunge nicht im Zaum habe, was Corona-Diskussionen angeht, habe ich beschlossen, nicht mehr darauf einzugehen, bis mein Herz weicher und liebevoller ist. Und bis dahin gibt es noch eine Menge Türen, die ich aufhalten kann. 

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de