Große Klappe – wenig dahinter

Ich war noch nicht ganz 14 Jahre alt, als ich das erste Mal auf ein Jugendcamp nach Südtirol fuhr. Ich war damals ein typischer Teenager: Große Klappe, wenig dahinter. Wir zelteten mitten im Wald – ja, wirklich mitten im Wald direkt neben einem kleinen Bach mit romantischem Wasserfall. Dort hatte ich das erste Mal richtig Angst.

Aufpassen

Ich kann mir vorstellen, dass mein vorlautes Mundwerk den Leitern die Entscheidung leicht gemacht hat – auf jeden Fall sollte es gleich am ersten Abend eine Nachtwanderung geben. Einer sollte auf das Lager aufpassen. Und das war ich. Ziemlich in der Mitte des Zeltlagers war ein Baumstumpf, den ich also als „Basis“ nutzte.

Die anderen verabschiedeten sich und liefen los. Ich hörte sie noch eine ganze Weile, aber die Stimmen und das Lachen wurden leiser und leiser. Irgendwann war nichts mehr zu hören als die Geräusche der Natur, die gefühlt immer lauter wurden. Und plötzlich wurde ich ganz klein mit Hut.

Es knackte hier, es raschelte da – und ich muss zugeben, dass ich anfing, mir vor Angst fast in die Hosen zu machen. Das hätte ich damals so nie zugegeben, aber die Situation war so bedrückend, dass ich sie nie wieder vergessen habe.

Nun hätte ich rational an die Sache heran gehen können: Der nächste Ort war ziemlich weit weg – warum also sollte sich irgendjemand aus dem Ort auf den Weg mitten in den Wald machen, um uns zu erschrecken oder gar zu überfallen? Die Tiere in einem Wald in Norditalien sind alles andere als gefährlich, sie haben eher Angst und verkriechen sich, sobald sie einen Menschen hören. Die Gruppe selber würde mich auch nicht erschrecken können, dazu waren die anderen viel zu aufgeregt und laut. Ich hätte sie lange ankommen hören.

Wovor hatte ich Angst?

Wovor hatte ich also Angst? Ich hatte Angst, weil ich unsicher war. Ich war an einem Ort, den ich nicht kannte. Ich konnte mich im Dunkeln nicht orientieren (es war so dunkel, dass man wirklich so absolut gar nichts sehen konnte). Die Situation, allein in einem Wald zu sitzen – nur auf sich selbst gestellt – und nichts zu hören, als die Geräusche der Natur war für mich unbekannt und von daher eher bedrohlich.

In solchen Situationen haben wir einfach Angst in unserem Leben. Wenn Lebenssituationen neu sind, wenn ich mich nicht orientieren kann und mich frage, wie und wo es weiter geht, wenn ich das Gefühl habe, allein auf mich gestellt zu sein, dann bekomme ich Angst. Und dann kann ich nicht rational an die Sache gehen.

Jesus schläft – trotz Sturm

Als Jesus mit seinen Freunden in einem kleinen Boot auf die andere Seite des Sees fahren wollen, entsteht so eine Situation. Ein Unwetter bricht herein, die Wellen schlagen gegen das Boot – und Jesus schläft. Die Freunde von Jesus haben Angst. Rational könnte man sagen: Wenn Jesus, der Sohn Gottes, mit im Boot ist, dann wird das Boot schon nicht untergehen und alle werden ertrinken. Aber so denkt man nicht, wenn man in solch einer Situation ist. Man sieht die Wellen, man sieht das Wasser ins Boot dringen – man kann aber das Ufer in der Dunkelheit nicht sehen.

Als die Wellen immer stärker ins Boot schwappen und das Boot am Sinken ist, wecken die Freunde Jesus. Und dann heißt es: “ Jesus stand auf, gebot dem Wind Einhalt und befahl dem See: »Sei still! Schweig!« Sofort legte sich der Sturm, und es wurde ganz still.“ Es ist vorbei. Alles ist wieder ruhig. Aber, als wäre das mit dem Sturm ebenso als „Lektion fürs Leben“ geplant wie mit meiner Nachtwache in Südtirol fragt Jesus seine Freunde: „Warum habt ihr Angst? Habt ihr denn noch immer kein Vertrauen zu mir?“

Habt ihr kein Vertrauen?

Genau diese Frage stelle ich mir immer und immer wieder in meinem Leben, wenn Lebensumstände bedrohlich sind, wenn ich Angst habe vor Veränderungen, wenn ich keine Orientierung finde: „Habe ich denn immer noch kein Vertrauen zu Jesus?“ Ja, ich weiß, Vertrauen muss wachsen. Aber es beruhigt mich in solchen Momenten, in denen ich das Gefühl habe, ich wäre nur ein Blatt im Wind, dass die Jünger, die so viel näher an Jesus waren, die so viel mehr mit ihm erlebt haben, als ich, die zu Helden der Geschichte geworden sind – dass diese Jünger auch Angst hatten.

Aber sie haben auf die Angst reagiert, indem sie Jesus aufweckten, bevor das Boot kenterte. Davon will ich lernen.

Mundwerk

Übrigens muss ich leider zugeben, dass mein Mundwerk nicht unbedingt kleiner geworden ist, als der Rest der Gruppe dann wieder im Camp angekommen war. Aber ganz tief in meinem Innern hat mich dieses Erlebnis sehr zum Positiven verändert.

Sei gesegnet.

https://juergens-gedanken.blogspot.com/

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de