Höre schnell, rede langsam
Immer wieder, wenn ich die Bibel lese, merke ich, wie Gott seinen Finger in meine Wunden legt. Eine Wunde von mir (und vielen Menschen, die ich kenne) ist, dass ich sehr schnell eine Meinung habe und diese ebenso schnell äußere. Mir stößt etwas auf, ich sehe einen Missstand, ich gebe sofort meinen Senf dazu. Dabei sagt die Bibel deutlich: „Liebe Freunde, seid schnell bereit, zuzuhören, aber lasst euch Zeit, ehe ihr redet oder zornig werdet“ (Jakobus 1, 9 NLB).
Geschichte einer Frau
Eine dieser Texte, die mich wirklich bewegt haben, ist die Geschichte einer Frau, die beim Ehebruch erwischt wurde. Johannes hat sie aufgeschrieben. Dort heißt es:
„Jesus ging zum Ölberg zurück, doch schon früh am Morgen war er wieder im Tempel. Bald hatte sich eine Menschenmenge um ihn versammelt, und er setzte sich und unterwies sie. Während er sprach, brachten die Gesetzeslehrer und Pharisäer eine Frau herein, die sie beim Ehebruch ertappt hatten. Sie stellten sie in die Mitte. »Meister«, sagten sie zu Jesus, »diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Nach dem Gesetz Moses muss sie gesteinigt werden. Was sagst du dazu?«“ (Johannes 8, 1-5 NLB).
Verstörend
Stelle dir das einmal bildlich vor. Ich habe ja nun schon bei vielen Gottesdiensten in meinem Leben gepredigt. Aber wie verstörend muss es sein, wenn mitten in der Predigt die Tür aufgerissen wird, und ein paar wichtige Kirchenmänner eine Frau in den Raum zerren und sie in die Mitte stellen.
Was für einen Tumult würde das geben? Und dann, obwohl sie den Gottesdienst gerade unterbrochen haben und ohne auf eine Reaktion zu warten, plappern sie los und bringen ihr Anliegen vor. Sie wähnen sich im Recht, denn sie haben ja jemanden erwischt, der etwas falsch gemacht hat und meinen, sie seien ja auf der richtigen Seite, sie würden ja alles richtig machen.
Frische Tat
Nun kann man sich natürlich fragen, warum und wie sie diese Frau erwischt haben. Haben sie sie gestalkt? Oder wie konnten sie so tief in die Privatsphäre der Frau eindringen, dass sie sie mit einem Mann beim Sex erwischt haben? Und wie haben sie sie in den Tempel gezerrt?
War sie womöglich noch nackt? Denn es heißt ja, sie hätten die Frau auf frischer Tat ertappt. Haben sie ihr also Zeit gelassen, dass sie sich anzieht oder haben sie sie aus dem Bett gerissen und so, wie Gott sie erschaffen hat, in den Tempel gebracht?
Und es ist so, als würde Gott zu mir sprechen und sagen: „Jürgen, du verhältst dich auch oft genug genau so!“ Wir sehen einen Missstand und fällen ganz schnell unser Urteil. Wir können dies oder das auch meist biblisch „gut“ begründen: Die Bibel sagt doch … also …
Meinung kundtun
Und dann reißen wir den Mund auf und tun unsere Meinung kund (das betrifft übrigens nicht nur biblische Themen. Ich könnte jetzt auch den Finger in die Wunde legen und Dinge wie Corona, Ukraine-Krieg, Asylpolitik nennen oder auch den vermeintlich schlechten Stil von Gemeinden, das Verhalten unserer Nachbarn und vieles mehr. Wir haben zu allem eine Meinung (natürlich die richtige Meinung) und müssen sie der Welt kundtun, ganz gleich, ob sie sie hören will oder nicht.
Wir wähnen uns im Recht und merken gar nicht, wie verstörend wir auf andere wirken (was müssen die anderen Menschen im Tempel gedacht haben). Und obwohl wir lieblos und herzlos herumpoltern und damit selbst nicht unbedingt christliche Werte vertreten, haben wir auch gleich noch eine biblische Begründung im Gepäck.
Weniger reden und mehr denken
Viel zu oft zeigen wir mit einem Finger auf andere und merken gar nicht, dass drei unserer Finger eigentlich dabei auf uns selbst zeigen.
Vielleicht sollten wir das Wort aus dem Jakobusbrief wirklich einmal beherzigen und weniger reden und mehr denken und vor allem weniger schnell wütend werden, besonders, wenn uns das Verhalten der Gesetzeslehrer in der Geschichte aufstößt.
Sei gesegnet!
„Wer gern redet, muss die Folgen tragen, denn die Zunge kann töten oder Leben spenden“ (Die Bibel, Sprüche 18, 21 NLB).
Jürgen Ferrary für GottinBerlin
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