Mann steht bei Sonnenaufgang im Kornfeld

Der kleine Zirkus

Vereinzelt hängen ein paar Hinweisschilder, an Laternen in meinem Kiez. Der kleine Zirkus, der seit Monaten bei mir um die Ecke hinter dem Parkplatz eines Discounters feststeckt und nichts tun konnte, als auf bessere Zeiten zu warten, darf endlich wieder die Manege für das Publikum öffnen. Sonst ist immer jede Straße mit Plakaten zugepflastert, wenn er hier ist, aber sogar für Werbung scheint das Geld sehr knapp zu sein. Heute also soll es losgehen, der erste Schritt nach vorne kann getan werden. 

Man kann vom Zirkus halten, was man will – für diese Menschen, bedeutet er das Leben. Keine Zuschauer bedeuten, keine Einnahmen. Und von Hartz IV kann man schlecht Menschen und Tiere durchfüttern. Was für eine enorme psychische Belastung muss das für alle gewesen sein?
 

Ohne Perspektive

Die Zirkus-Familie hat alles getan, um zu überleben. Im letzten Sommer – vor dem Lockdown im Herbst – hat sie eine Ferien-Zirkus-Schule für Kinder angeboten, denn die war erlaubt. Den ganzen Winter über wurde dazu eingeladen, die Tiere zu besuchen und auch zu füttern – und das monatelang, ohne zu wissen, wie es weiter gehen würde, ohne zu wissen, wann sich die Zeiten bessern würden, ohne Perspektive. 
 
Als unsere Kinder klein waren, haben wir eine paar Vorstellungen besucht, denn der Zirkus kommt regelmäßig in unser Gebiet. Der Zirkus-Direktor trug damals gut sichtbar ein Kreuz um den Hals. Wenn er trotz Lockdown, trotz Not und trotz düsterer Zukunft-Perspektive Vertrauen zu Gott haben sollte, dann habe ich sehr großen Respekt davor. 
 

Ungeduld

Ich selbst bin jemand, der oft ungeduldig auf Gottes Antwort wartet, der wissen will, was morgen geschieht und dennoch ist mir klar: „Der Mensch weiß nicht, was auf ihn zukommt, und niemand kann ihm sagen, was die Zukunft bringt“ (Prediger 8, 7 HfA).
 
Manchmal werde ich dann in meiner Ungeduld an die Menschen vom Volk Israel zu Zeiten des Alten Testaments erinnert, die unterdrückt und misshandelt in Ägypten als Sklaven leben mussten. Lange hatte es gedauert, bis Gott Mose als Retter schickte. Noch einmal brauchten sie Geduld, bis Pharao nach vielen Plagen endlich einlenkte und die Menschen ziehen ließ. Und dann, kaum auf dem Weg in die Freiheit müssen die Israeliten erkennen, dass sie eingeklemmt sind zwischen dem Roten Meer und der Armee des Pharao. 
 
Der hatte es sich nämlich doch wieder anders überlegt und schickte seine Soldaten hinter ihnen her. Gott greift übernatürlich ein, rettet sein Volk – aber dann wird es erst wirklich hart, denn es folgen 40 Jahre eines Lebens in der Wüste. 40 Jahre, in denen die Menschen schauen mussten, wie sie den Tag überstehen – aber auch 40 Jahre, in denen sie das Versprechen begleitete, Gott würde ihnen ein Land geben, „in dem Milch und Honig fließen“. 
 

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt!

Der kleine, gestrandete Zirkus zeigt mir, dass wir eigentlich auch Tausende Jahre später nicht weiter sind. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Äußere Umstände können sich schlagartig ändern, auch wir können lange Wüstenerfahrungen durchmachen. Letztendlich leben wir in demselben Spagat zwischen dem Versprechen Gottes auf ein gelobtes Land, in das wir einst einziehen werden und dem Leben im Hier und jetzt, in dem es gilt, den nächsten Schritt zu gehen. 
 
Der kleine Zirkus hat mir gezeigt, was für Kräfte freigesetzt werden können, wenn man an seinem Ziel festhält, auch, wenn die Umstände alles andere als rosig aussehen. Letztendlich geht es für die Menschen dort ums nackte Überleben. Von dieser Energie wünsche ich mir auch eine gehörige Portion, besonders in Momenten, in denen ich wieder ungeduldig auf Antwort von Gott warte, eine Zeit in der Wüste verbringe oder gerade wieder einmal dabei bin, das Ziel aus den Augen zu verlieren. 
 
Also, Vorhang auf und Manege frei – für die erste Vorstellung nach Monaten ebenso, wie für unser Leben. 
 
Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de