Ameise auf Zweig

Krücke oder Anker

Als Jugendlicher habe ich mich oft über „die Christen“ lustig gemacht. Christen, das waren schwache Menschen für mich, Menschen, die eine Krücke im Leben brauchten. Ich fühlte mich stark, ich brauchte so etwas nicht. Von einer Krücke würde ich heute nicht mehr sprechen, eher von einem Anker. Und heute bin ich stolz darauf, dass ich diese „Hilfe“ in meinem Leben habe, denn das Leben ist nicht immer nur Ponyhof. Als junger Mensch macht man sich vielleicht wenig Gedanken über das Leben, gerade, wenn man sich selbst und den anderen beweisen möchte, was für ein cooler Typ man ist.

Aber dann kommt der erste Liebeskummer, die erste Lebenskrise, das erste tiefe Loch, in das man hineinfällt. Das waren Momente, in denen ich gerne zugegeben hätte, dass ich solch eine Krücke gut gebrauchen hätte können. Aber natürlich war ich auch dafür zu cool.

Verankert

Wenn du mit einem Schiff unterwegs bist und in raue See kommst, dann bist du froh, wenn der Anker geworfen wird. Das Schiff wird merklich ruhiger und vor allem, es bleibt fest an einer Stelle „verankert“. Er wird kein Spielball der Naturgewalten, sondern verharrt an einem Ort, bis der Sturm vorüber ist.

Im Hebräerbrief heißt es: „Gott gab uns also sowohl seine Zusage als auch seinen Eid, die beide unabänderlich sind, weil Gott nicht lügt. Das ist für uns, die wir bei ihm Zuflucht gesucht haben, eine große Ermutigung, denn wir wollen ja das vor uns liegende Ziel, die Erfüllung der Hoffnung, erreichen. Diese Zuversicht ist wie ein starker und vertrauenswürdiger Anker für unsere Seele. Sie reicht hinter den Vorhang des Himmels bis in das Innerste des Heiligtums Gottes“ (Hebräer 6,18-19 NLB).

Fester Anker

Glaube ist ein fester Anker in unserem Leben. Ich erlebe, dass Stürme nicht das letzte Wort haben, sondern dass Gott größer ist. Aber der Glaube, von dem der Hebräerbrief hier spricht, ist sogar noch mehr. Dieser Anker reicht „hinter den Vorhang des Himmels bis in das Innerste des Heiligtums Gottes“.

Der Vorhang trennte im alten Tempel den Bereich, in den alle Menschen durften, vom Allerheiligsten, in das nur Auserwählte zu ausgewählten Zeiten durften. Dieser Vorhang ist in dem Moment zerrissen, als Jesus am Kreuz für uns starb.

Eine Krücke

Der Zugang zum Allerheiligsten ist also frei. Deswegen ist der Glaube mehr als eine Krücke. Wäre er eine Krücke, dann würde er mir vielleicht Kraft geben, weil ich mit meinem Verstand daran glaube, dass Gott mich liebt und es gut mit mir meint.

Als Christen dürfen wir aber ins Allerheiligste. Wir dürfen uns Gott nähern. So wie ein Kind bei seinem Vater oder seiner Mutter Trost und Schutz sucht, so dürfen wir zu Gott kommen. Und so wie Eltern ihren Kindern Geborgenheit geben, sie in den Arm nehmen, Zuversicht spenden, so möchte es Gott bei uns auch tun.

Coolness

Die Frage ist: Lasse ich das zu? Als „cooler“ und „intellektueller“ junger Mann hatte ich mir selbst im Weg gestanden, denn Coolness verhindert, dass ich zum Vaterherz Gottes gehe und mein Intellekt tut so, als könnte ich alles und wüsste ich alles.

Aber meine Sicht ist nicht viel größer als die eines Schafes, dem man nachsagt, es würde maximal eine DIN-A4-Seite registrieren, wenn es nach vorne schaut. Ich habe absolut keine Ahnung, wie es sein kann, dass ich Gott nicht sehe, er mich aber dennoch an sein Vaterherz ziehen kann, mich trösten möchte, mir Kraft gibt, mich ausstattet, aufrichtet, mich durch seine Liebe verändert.

Warum tun wir das eigentlich nicht einfach mal, Gott bitten, dass wir uns so nähern dürfen, wie damals die Menschen im Tempel, wenn sie hinter den Vorhang gegangen sind? Ich denke, es täte uns gut, wenn wir alle „Coolness“ und alle Vorbehalte mal beiseitelegen und Gottes Gegenwart einfach genießen, so wie ein Kind es genießt, in den Armen seiner Eltern zu liegen.

Und vielleicht – nein ganz sicher – wird Gott dann nicht mehr nur Krücke in unserem Leben sein, sondern ein Anker, der uns Ruhe gibt und Sicherheit.

Sei gesegnet!

„Etwas Festes muss der Mensch haben, daran er zu Anker liege, etwas, das nicht von ihm abhänge, sondern davon er abhängt“ (Matthias Claudius).

 

Jürgen Ferrary für GottinBerlin

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