Keine Grenzen kennen

„Ich will gar kein Vorbild sein!“ Mir gegenüber sitzen die Eltern von Tim, einem auffälligen Kind. Tim hält sich nicht an Regeln, ist frech und passt sich so gar nicht in die Gruppe ein. Er ist voller Aggressionen und kennt keine Grenzen. Deswegen habe ich die Eltern um ein Gespräch gebeten.

Ich möchte sie gerne kennenlernen, um herauszufinden, wie man dem Jungen helfen kann, denn es ist augenscheinlich, dass er unter der Situation am meisten leidet. Da fällt plötzlich dieser Satz aus dem Mund der Mutter, der mich wirklich umhaut. Sie will kein Vorbild für ihren Sohn sein.

Zu Anstrengend!

Ihre Begründung: Dann müsse sie sich ja ständig hinterfragen, ständig aufpassen, selber nichts falsch zu machen. Das wäre ihr zu anstrengend. Es würde doch reichen, klare Regeln aufzustellen, an die sich das Kind dann zu halten hat. Scheint ja nicht zu reichen, sonst wäre der Sohn nicht so unglücklich und voller Auflehnung. Den Zusammenhang zwischen ihrem eigenen Leben und dem Charakter ihres Sohnes will die Frau dabei nicht sehen.

Eltern sind immer Vorbild ihrer Kinder

Ob wir es wollen oder nicht, gerade wir Eltern sind immer Vorbilder – gute oder eben keine guten. Das ist leicht daran zu erkennen, dass wir uns in der Pubertät vorgenommen haben, alles anders zu machen als unsere eigenen Eltern – aber, wenn wir ehrlich sind, sind wir unserer Mama und unserem Papa in ganz vielen Bereichen doch ziemlich ähnlich!

Gutes und weniger gutes Vorbild

Aber nicht nur unsere Kinder, auch Menschen um uns herum werden durch uns geprägt – ganz automatisch: Wie lebe ich meinen Alltag? Wie gehe ich mit Konflikten um – oder Ängsten und Sorgen? Wie streite ich mich und wie versöhne ich mich? Wie behandle ich meine Mitmenschen und wie gehe ich damit um, wenn Mitmenschen mich schlecht behandeln?

Es gibt unzählige Bereiche, in denen ich ein gutes, wie ein weniger gutes Vorbild sein kann. „Niemand ist unnütz – er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen“, hat mir ein Lehrer mal ins Gesicht gesagt, als er sauer auf mich war. „Komisch,“ dachte ich, „dass Sie dann in der Pause mit der Zigarette im Mund auf dem Schulhof stehen …“ (was ja heute zum Glück verboten ist).

Gutes Vorbild

Paulus war sich seiner Rolle als bewusst. Er war von sich selbst überzeugt, dass er ein gutes Vorbild für andere war und verlangte dies auch von seinen Mitarbeitern. Im Brief an eine Gemeinde schreibt er deswegen: „Liebe Brüder, nehmt mich als Vorbild und lernt von denen, die unserem Beispiel folgen. Denn ich habe euch schon oft gesagt und wiederhole es erneut unter Tränen, dass viele Menschen durch ihr Verhalten zeigen, dass sie in Wirklichkeit Feinde des Kreuzes Christi sind. Sie enden im Verderben; ihr Gott ist ihr Bauch; sie sind stolz auf Dinge, für die sie sich schämen müssten, und denken an nichts anderes als an das Leben hier auf der Erde.“

Was für ein Vorbild bin ich eigentlich?

Wow – harte Worte. Paulus legt seinen Finger in die Wunde. Ich muss mich fragen: Was für ein Vorbild bin ich eigentlich? Ich kann mich nicht winden, wie die Mutter von Tim. Ich weiß, auch, wenn ich es nicht sein will, ich bin so oder so ein Vorbild – für meine Kinder aber auch für die Menschen, denen ich begegne.

Könnte ich das so anderen sagen? „Nehmt euch ein Beispiel an meinem Leben, folgt mir als Vorbild!“ Wenn nicht, warum eigentlich nicht? Weil ich noch ein Mensch voller Fehler bin? Das war Paulus auch. Vielleicht eher, weil es bequemer ist, so zu sein und so zu leben, wie ich es gewohnt bin. 

Aber wie kann ich (als ein Beispiel) hoffen, dass meine Kinder zu Gott finden, wenn ich es ihnen nicht vorlebe? Sehen meine Kinder, dass Jesus mein Herr ist? Erleben sie, dass ich Zeit für Gott habe? In seinem Wort lese, mit ihm rede, mich bei ihm ausweine und bei ihm Kraft tanke? Bemerkt es meine Familie, dass Gott an meinem Charakter arbeitet und ich Jesus ähnlicher werde?

Wenn nicht, dann muss ich mich fragen, was für ein Vorbild ich bin. Das klingt hart – ist es auch. Was ich tun kann, ist, mich immer wieder zu fragen: Wenn Menschen mich und meinen Charakter sehen – was für ein Vorbild bin ich dann? Dann werden mir Situationen einfallen, die mich ermutigen, weil ich sie gut gemeistert habe. Dann werde ich aber auch Schwächen erkennen – und kann diese dann angehen.

Was für ein Vorbild bin ich? Was für ein Vorbild bist du?

Auch hier hilft ein Tausch am Kreuz. Ich kann Charakterschwächen bei Gott bewusst abgeben und tauschen gegen seine verändernde Liebe. Gott will mich nicht zwingen oder verbiegen, er will mich durch seine Liebe verändern. Dann werde ich immer noch nicht so selbstbewusst wie Paulus, andere auffordern, sich ein Beispiel an mir zu nehmen, denn ich bin Jürgen und nicht Paulus – ich werde aber erleben, wie mir mehr und mehr Situationen, Konflikte, Scheidewege, Streitigkeiten gelingen, selbst in Liebe zu durchleben.

Wir brauchen Vorbilder. Was für ein Vorbild bin ich? Was für ein Vorbild bist du?

Sei gesegnet!

 

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de