Mann zeigt mit dem Finger auf dich

An Regeln halten

Wenn ich im Urlaub bin, dann ist es mir manchmal peinlich, aus Deutschland zu kommen. Sind „wir Deutschen“ nicht die, die sich immer darüber beschweren, dass sich „die Ausländer“ nicht an unsere Regeln halten? Wenn „die“ in „unser“ Land kommen, müssen die sich an „unsere Regeln“ halten.

Und dann erlebe ich, wie sich „die Deutschen“ im Urlaub an alles andere halten – an ihre Sprache (man muss natürlich davon ausgehen, dass auch in anderen Ländern alle deutsch sprechen…), an Bierflaschen und mehr – nur nicht an die Regeln des Landes. An der polnischen Ostsee – nur als Beispiel – ist es nicht gern gesehen, dass Frauen oben ohne am Strand liegen oder baden gehen. Das kommt sicherlich daher, dass viele Polen noch gläubiger sind als wir Deutschen – aber wer liegt dann am Strand, wie Gott sie schuf? Natürlich „die Deutschen“.

Genügend Abstand

Wir lieben die polnische Ostsee! Wir waren mehr als froh, dass wir Ende Juli wieder für ein paar Tage nach Swinemünde fahren durften und konnten. Die Corona-bedingten Einschränkungen hielten sich in Grenzen, aber es gab natürlich neue Regeln. So war im Bereich der parzellierten Plätze jeder zweite Stellplatz mit einer Flatter-Leine abgesperrt, um genügend Abstand zwischen den Campern zu wahren. Für uns war das eher gut, konnten wir uns doch mit unserem Vorzelt vor dem VW-Bus richtig schön ausbreiten.

Als wir an einem Abend dann wieder zum Platz kamen, hatten hinter uns neue Camper ihre Wohnmobile aufgebaut. Sie hatten die Flatter-Leinen einfach entfernt und den dadurch entstandenen Platz mit Strand-Windfängen regelrecht abgesperrt. Insgeheim hoffte ich, dass der Sicherheitsdienst kommen und die Leute vom Platz werfen würde. Wie kann man sich nur so respektlos als Gast in einem anderen Land aufführen?

Eine laute Stimme

Und dann, als ich gerade morgens dabei war, meine Andacht zu schreiben, höre ich ganz deutlich in mir eine laute Stimme: „Warum siehst du jeden kleinen Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“ (Matthäus 7, 3 HfA) 

Das war ein Schlag ins Gesicht, ein heftiger noch dazu. Wie leicht fällt es uns, auf andere zu schauen und irgendein Haar in der Suppe zu finden. Unabhängig davon, dass es „die Ausländer“ genauso wenig gibt wie „die Deutschen“, lenkt das Schauen auf die Fehler „der anderen“ so schön davon ab, sich mit den eigenen auseinanderzusetzen.

Anpassen an die Lebenskultur

Das bedeutet nicht, dass man Dinge, die falsch sind, auch beim Namen nennen und als falsch titulieren darf. Das bedeutet auch nicht, dass es nicht mehr so etwas wie die Lebenskultur eines Landes geben sollte. Ich bin sehr dafür, dass man sich den Gepflogenheiten anpasst, wenn man in einem anderen Land ist. Das gilt für die Menschen, die nach Deutschland kommen, ebenso wie für mich, wenn ich in ein anderes Land fahre.

Wann bin ich empfänglich und versöhnlich?

Aber: Es gibt ein wunderbares Bild, das mein Sohn Joshua irgendwann einmal mit nach Hause gebracht hat. Er sagt: „Wenn du mit dem Finger auf andere zeigst, dann zeigen drei Finger auf dich!“ Ein Herz, das verurteilt, wird hart und trennt. Ein Herz, das zuerst auf sich selber schaut, bleibt empfänglich und versöhnlich, weil ich sehe, dass ich – wie jeder andere Mensch – auch nicht perfekt bin. Das weitet meinen Blick und lässt mich barmherziger werden.

Ein richtig schlechtes Gewissen habe ich dann noch bekommen, als gerade diese Nachbarn, die ich im Herzen verurteilt habe, an einem Morgen mit einem wundervollen Tipp gegen die vielen Wespen ankamen. Sie reichten uns einen Teller mit entzündetem Kaffee herüber, sodass wir ganz entspannt und in Ruhe frühstücken konnten.

An den eigenen Fehlern arbeiten

Mein Gebet ist es, dass Gott es mir schenkt, dass ich mehr auf mich schaue, dass ich mehr an meinen Fehlern arbeite, dass ich aufhöre, andere zu beurteilen oder zu verurteilen – ganz ohne devot zu sein oder mich selbst niederzumachen und mich selbst zu verurteilen, wo es gar nichts zu verurteilen gibt (das gibt es nämlich auch). Mein Gebet ist es, andere mit all ihren Fehlern anzunehmen und es ihnen dann in Liebe auch zu sagen, wenn es etwas gibt, das mich stört (das gelingt mir leider nur mäßig – und oft hab ich dann keinen Mut, Menschen Kritik ins Gesicht zu sagen – wieder einen Balken in meinem Auge entdeckt…).

Die Welt wird liebevoller, unser Herz wird leichter und unser Charakter besser, wenn wir das tun.

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de