Ein neuer Mensch!

Ich war in eine Gemeinde außerhalb von Berlin zum Predigen eingeladen und hatte beschlossen, mit dem Zug dort hinzufahren. Als ich morgens um 9:00 Uhr am Hauptbahnhof der Kleinstadt ankam, lungerten am Bahnhof schon ein paar Leute herum. Sie hatten alle Bierflaschen in der Hand und grölten herum.

In meiner Predigt ging es um das Thema „Neustart“, darum, dass wir alle noch nicht dem Bild entsprechen, das Gott für uns gemalt hat. Auch wenn die Bibel sagt: „Gehört also jemand zu Christus, dann ist er ein neuer Mensch. Was vorher war, ist vergangen, etwas völlig Neues hat begonnen.“ (2 Korinther 5, 17 HfA) – so haben wir unseren alten Menschen mitnichten nicht hinter uns gelassen. Wir sind in weiten Teilen unseres Lebens noch kein neuer Mensch, der die Welt mit Gottes Augen sieht, mit seinem Herzen liebt und mit seinem Licht erleuchtet.

An dieser Stelle ging ich auf die jungen Leute am Bahnhof ein. Die Kirche liegt genau am anderen Ende des Bahnhof-Vorplatzes. Gerade an einem Sonntagmorgen, an dem es eher wenig Treiben auf dem Vorplatz ist, sind Grüppchen von Leuten gut zu hören, wenn man in die Kirche hineingeht.

Wie reagiert Gemeinde auf einen neuen Menschen?

In meinem Kopf kreisten Bilder. Wie hätte die Gemeinde wohl reagiert, wenn ich die fünf / sechs Menschen eingeladen hätte, mit in den Gottesdienst zu kommen? Was, wenn sie zugesagt hätten und mitgekommen wären? Und wie hätte ich reagiert, wenn sie meine Predigt durch klappernde Bierflaschen und Zwischenrufe gestört hätten?

Wir sind noch nicht die neuen Menschen, die andere mit Gottes Augen sehen. Denn Gott hat sein Wertvollstes gegeben, als wir noch gar keine Lust hatten, uns an seine Regeln zu halten. Wir aber würden förmlich ausrasten, wenn Menschen zu uns in den Gottesdienst kämen und sich an die Regeln der Gemeinde (oder der Höflichkeit) nicht halten würden.

Noch deutlicher wird es, wenn ich mir anschaue, was Jesus selbst dazu zu sagen hat: „Ihr aber sollt in eurer Liebe vollkommen sein, wie es euer Vater im Himmel ist“ (Matthäus 5, 48 HfA). Das bedeutet nichts anderes, als dass wir auch die Abgebrannten, die Ausgestoßenen, die aus der Gesellschaft herausgefallen sind, die Penner, die Alkoholiker, die Drogenabhängigen, die Prostituierten, die Clan-Mitglieder, die „Prolos“ (…) genauso lieben sollen, wie Jesus sie liebt. 

Menschen lieb haben

Natürlich sollen wir vieles ablehnen, was sie machen, aber sie eben als Menschen liebhaben und liebevoll behandeln. Reden wir nicht immer davon, Jesus würde die Sünde hassen, aber den Sünder lieben?

Ja, wir sind weit davon entfernt, ein neuer Mensch zu sein (ich wurde übrigens von einem älteren Mann gleich mit den Worten begrüßt: Na, was kommen Sie denn ohne Krawatte hier zum Predigen? Treffer versenkt …hahaha).

Ich kann auf zweierlei Art reagieren. Ich kann mich weiter in meine „heile Christenwelt“ zurückziehen und so tun, als würde da die Liebe schon gelebt werden. Ich kann aber Jesu Worte als Verheißung für mein Leben annehmen und darum beten, dass Gott mir solch brennende Liebe für meinen Nächsten ins Herz schenkt.

Das setzt voraus, dass ich mich frage: Will ich das überhaupt? Denn wie reagiere ich, wenn Jesus mein Gebet erhört? Wenn ich jetzt sagte, nächstes Mal, wenn ich in die Gemeinde zum Predigen eingeladen werde, dann frage ich die Leute am Bahnhof, ob sie nicht mitkommen wollen, dann lädt mich die Gemeinde sicherlich nie wieder ein.

Lass uns heute dafür beten, dass Gott an unseren Herzen arbeiten darf, dass er uns mehr Liebe schenkt für die Menschen um uns herum – die, die wir sowieso schon liebhaben, aber erst recht für die, die wir eigentlich nicht mögen. Lass uns beten, dass unsere Liebe ein Stück der von Jesus ähnlicher und damit ein Stück vollkommener wird.

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de

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