Workshop

Als ich vor ein paar Jahren gefragt wurde, ob ich auf einer christlichen Tagung einen Workshop anbieten würde, sagte ich natürlich gerne zu. Gleich zu Beginn der Tagung kamen Teilnehmer aufgeregt auf mich zu, um mich darauf hinzuweisen, dass da wohl ein Fehler passiert sei. Im Programm würde stehen, ich würde einen Workshop zum Thema „Stille“ anbieten wollen. Das könne ja gar nicht sein.

Ich kann die Leute gut verstehen. Mein Charakter, meine Art und Stille das ist auf den ersten Blick so gegensätzlich wie Feuer und Wasser. Ich bin extrovertiert, eher laut, hab meistens etwas zu sagen. Und jetzt das.

Es war natürlich kein Druckfehler. Niemand war in der Zeile verrutscht, noch war es so, dass das Thema auf der Agenda stand und ich der einzige war, der noch kein Thema abbekommen hatte. Ich hatte das Thema sehr bewusst gewählt.

Stille gibt Kraft

Warum? Weil ich selbst erlebt habe, was für eine Kraft in der Stille liegt: Es ist schon einige Jahre her, da arbeitete ich beim christlichen Jugendwerk CVJM. Unser kleiner Ortsverein in Potsdam wollte im Keller der Nikolaikirche ein Jugendcafé eröffnen und benötigte dafür einen Video-Beamer. Wir beantragten also Zuschüsse bei einer Stiftung und wurden mit unserem Projekt auch auserwählt.

Förderung

Einzige Bedingung für das Erhalten des Geldes war, dass jemand für ein Wochenende zu dieser Stiftung fuhr, um das Projekt vor den Mitarbeitern der Stiftung und den anderen, die auch Zuschüsse bewilligt bekommen hatten, vorzustellen. Ich war sehr aufgeregt – aber voll in meinem Element. In den sieben Minuten, die ich hatte, gab ich alles, war der „charismatische Leader“, der es schaffte, dass die Zuhörer an seinen Lippen klebten. Ich erzählte von Potsdam, den „bösen Jugendlichen“ vom Hauptbahnhof und unserer Idee genau die zu uns ins Jugendcafé „MoCCa“ einzuladen. Ich erhielt erstaunlich viel Beifall nach dem Ende meines Vortrages.

Schweigen

Da ich der letzte in der Runde war, folgte der Schock für mich direkt im Anschluss. Denn ein Mitarbeiter der Stiftung sagte, dass wir nach einer kleinen Pause eine Thomas-Messe feiern würden. Bei der ging es im Großen und Ganzen darum, schweigend „geistliche Übungen“ zu vollbringen. Das ganze würde sicherlich eine Stunde dauern. 

Eine Stunde schweigen? Ich? Wie sollte das bitte gehen?

Thomas-Messe

Es wurden fast zwei Stunden – und es war eine einschneidende, mich völlig verändernde Erfahrung. Die Thomas-Messe ist keine Messe im klassischen Sinne. In einem schön dekorierten Raum gab es verschiedene Stationen, die man besuchen konnte. Es ging um Gebet, darum, Schuld abzugeben oder sich seiner Trauer zu stellen. An einer Station konnte man in einen Spiegel schauen, um sich selbst zu fragen, wer man wirklich ist (und wie andere einen sehen – sehr bewegend). Man konnte Altes hinter sich lassen, um Neues bitten und für Gegenwärtiges danken. Und vieles mehr.

Balsam auf der Seele

Es herrschte eine absolute Stille in dem Raum, die wie Balsam auf meiner Seele war. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich innerlich still werden, meine Gedanken loslassen und mich so auf die aktuelle Station konzentrieren konnte. Was dann geschah, war so umwerfend, dass es mich wirklich massiv veränderte. Ich habe Gott an diesem Abend erlebt, wie ich ihn vorher noch nie erlebt hatte. Gott redete, Gott rührte mich an, Gott vergab und nahm mir Last von der Seele, Gott tröstete, Gott richtete mich auf, Gott hinterfragte und Gott bestätigte. Gott erwies sich als der, der er in meinem Alltag eigentlich auch sein möchte – ein liebendes, mich umsorgender Vater. Leider ist mein Leben oft zu geschäftig und zu laut, um Gott eine Chance zu geben…

Werde ruhig!

Auch, wenn das zunehmende Alter es mit sich bringt, dass ich insgesamt ruhiger geworden bin – ich gebe es zu, ich bin immer noch laut und extrovertiert (nicht zur Freude aller). Aber ich habe erlebt, welche Kraft in der Stille liegt. Und auch, wenn es immer noch jedes Mal dauert, bis ich den Alltag loslassen kann, um wirklich ruhig zu werden – es tut der Seele so richtig gut. Ruhig werden, die Gedanken auf Gott richten, loslassen und Gott bitten, dass er spricht und dann warten.

Versuch es doch einfach mal. Such dir einen ruhigen Ort und nimm dir Zeit – nur für Gott und dich. Und dann schau, was passiert. 

Sei gesegnet!

www.juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de