Die Richtung mit einem Kompass bestimmen im Wald

Blühen und reifen

Vor ein paar Tagen las ich eine kleine Geschichte von Mark Rasumny, die mich zum Nachdenken brachte. Er schreibt: 

Eines sonnigen Herbsttages zog es meinen Freund und mich auf die Obstplantage eines Bekannten. „Wisst ihr, was mir in den Sinn kam, als wir die Früchte verspeisten?“, fragte ich meine Begleiter, nachdem wir uns gesättigt hatten. „Ich dachte, wie gut es ist, dass die Bäume ein derart kurzes Gedächtnis haben.“

Beide sahen mich an. „Die Bäume ein kurzes Gedächtnis?“ 

„Ja, denn es ist kaum ein Jahr her, dass sie gänzlich beraubt wurden. Und in sonderbarer Sorglosigkeit trieben sie wenig später erneut Blüten, mobilisierten sie ihre Säfte und trugen wiederum Frucht. Ist das kein Zeichen von kurzem Gedächtnis?“

„Du irrst“, entgegnete mein Freund, „das zeugt eher von gutem Erinnerungsvermögen. Gerade weil sie der früheren Jahre gedenken, der Freuden des Fruchttreibens und Reifenlassens, der süßen Schwere ihrer Zweige, erfüllten sie ihre Bestimmung. Was ist der schmerzliche Augenblick der Ernte gegen die Monate des Blühens und Reifens?“

„Ich denke, ihr habt beide Unrecht“, warf der Gärtner ein, „weder ein langes, noch ein kurzes Gedächtnis sind da vonnöten. Der Baum blüht, weil er lebt. Und leben heißt: Sich fortwährend erneuern, Früchte tragen, ein weites Herz und offene Hände bekommen, die bereitwillig verteilen, was einem reifte.“

Innerer Kompass

Beide Argumente klangen schlüssig, dennoch verwirft sie der Gärtner. Er wendet den Blick vom Apfel auf den Menschen, weil er erkennt, dass es den beiden Freunden eigentlich um sich selber geht und nicht um die Frucht. Und für ihn ist es absolut wichtig, dass ein Mensch sich, solange er lebt, ständig erneuert. 

Das bedeutet, dass er seinen inneren Kompass immer wieder ausrichtet, eben auf die Tugenden, die er dann erwähnt, nämlich das Früchtetragen, ein weites Herz, offene Hände und die Bereitschaft zu geben. Unser Gedächtnis kann von Vorteil sein, wenn wir eine Arbeit zum zweiten Mal verrichten, einen Weg wiederholt fahren oder ein Rezept wieder und wieder kochen. 

Es kann aber auch Last sein, die mich einschränkt. Sich fortwährend zu erneuern bedeutet, sein Herz nicht auf sein Gedächtnis zu stützen oder auf seine Erfahrungen (dann dürfte ein Baum nie wieder Früchte tragen, weil er weiß, dass er jedes Jahr um sie beraubt wird, dass er sie jedes Jahr verliert), sondern auf Gott. 

Paulus schreibt: „Der Herr richte eure Herzen auf die Liebe zu Gott aus und auf das geduldige Warten auf Christus!“ (2. Thessalonicher 3, 5 NLB). Wenn ich meinen inneren Kompass auf Gott ausrichte, dann werde ich nicht nur meine Stimmung finden und leben, – was mein Leben reich macht – dann werde ich mich auch fortwährend erneuern, Früchte tragen, ein weites Herz bekommen und offene Arme – und dann werde ich auch freudig geben können. 

Sei gesegnet

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de