grauer Zaun vor Bäumen und Aufschrift

Die Vergangenheit holt mich ein

Seit einigen Wochen klopft bei mir massiv meine Vergangenheit an. Plötzlich habe ich – völlig unverhofft – wieder Kontakt mit mehreren Freunden, die ich zum Teil 30 Jahre lang nicht mehr gesehen, noch gehört habe. Es ist aufregend, sich an „die guten alten Zeiten“ zu erinnern, die bei genauerem Hinschauen gar nicht so gut waren. Ein Bassmann, mit dem ich Mitte der 80er Jahre zusammen Musik gemacht habe, hat mich gestern ziemlich herausgefordert und mir eine gute Charakter-Lektion erteilt. 

Vor ein paar Tagen bekam ich von ihm Post mit einer CD, auf die er Musik von uns von damals kopiert hatte. Natürlich unterhielten wir uns über die Songs von damals, aber auch über das, was wir heute so machen, denn auch er spielt immer noch in einer Band.

Als ich ihm eine Aufnahme vom Lied „Psalm 9“ meiner „BConnected-Band“ schickte, schrieb er zurück: „Musikalisch klasse, Text leider nicht meins!“ Und dann setzte er noch eins drauf: „Ich konnte mich noch nie mit der Kirche identifizieren. Wurde leider katholisch getauft und da wird mir übel.“ Was für ein Widerstand!

Kirche ablehnen

Ich denke, noch vor ein paar Jahren hätte ich eine große Diskussion vom Stapel gelassen, hätte als Apologet den Glauben feurig verteidigt und ihm „bewiesen“, dass er auf dem Holzweg ist. Vielleicht wäre ich ihm verbal überlegen gewesen, vielleicht hätte ich die „besseren“ Argumente gehabt – aber hätte ich damit sein Herz erreicht? Wohl kaum.

Ich antwortete ihm dann nur kurz, dass der Psalm 9 ja nun nicht gerade katholisch ist – und dass ich auch so meine Vorbehalte gegen Institutionen habe. Was war diesem Mann geschehen, dass er den Glauben so ablehnte?

Es ging ihm sehr um das, was in der Kirche so passiert, besonders um die schlimmen Dinge, die gerade durch die Presse gehen. Und so ist es leider oft, dass Kirche und Glaube auf eine Stufe gestellt werden.

Fatale Entscheidungen

Das Fatale daran ist, dass wir oft Entscheidungen fällen – manchmal für sehr lange Zeit, manchmal für die Ewigkeit – die auf eigene Erfahrungen oder schlimme Vorfälle fußen: 

Politiker sind per se schlecht, weil es Korruptionsfälle gibt und gab. Hilfsorganisationen kann man kein Geld geben, weil es einige gibt und gab, die Geld unterschlagen haben. Und der christliche Glaube ist abzulehnen, weil es (zum Teil furchtbare) Missstände in Kirchen gibt. 

Das ist eine nachvollziehbare – aber leider nicht immer schlüssige – Logik. Denn umgekehrt ziehen wir auch nicht immer dieselben Schlüsse. Cannabis wird immer noch verharmlost, obwohl Menschen durch den Konsum Psychosen bekommen haben. Und dass viele Menschen – ohne Impfung – an Corona gestorben sind, aber vergleichsweise sehr wenige trotz Impfung, ändert die Meinung von Impfskeptikern auch in den meisten Fällen nicht. 

Paulus schreibt an die Gemeinde in Ephesus: „Überhebt euch nicht über andere, seid freundlich und geduldig! Geht in Liebe aufeinander ein!“ (Epheser 4, 2 HfA). Liebe, Geduld und Freundlichkeit sind – auch, wenn sie uns oft nicht leicht fallen – die Schlüssel für Veränderung.

Für den Glauben werben

Die ersten Christen konnten vor fast 2000 Jahren weder per Facebook noch per Livestream oder mit Plakaten für ihren Glauben werben. Sie taten es mit ihrem Leben – durch genau diese Dinge – Liebe, Geduld und Freundlichkeit.

Gut wäre es, wenn wir wieder lernen würden zuzuhören. Um es wieder auf den alten Bassmann zu kommen – ich werde nur herausfinden, was die wirklichen Gründe für seine Vorbehalte, für seinen Widerstand, sind, wenn ich ihn nicht gleich mit Argumenten versuche zu erdrücken.

Und vielleicht habe ich in diesem einen Gespräch auch nicht die Chance, ihm zu zeigen, dass Glaube und Institution Kirche zwei völlig unterschiedliche Dinge sein können. Aber, wenn ich ihm in Liebe begegne, in Geduld zuhöre und freundlich auf ihn eingehe, dann bin ich ein Zeugnis für Jesus – ganz gleich, welcher Organisation ich angehöre.

Und nur so geben wir unserem Gegenüber die Chance, seine einst gefällten Entscheidungen zu hinterfragen – und umgekehrt natürlich auch. 

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de