Auffällig

Ich sitze meiner Lehrerin in der Grundschule gegenüber. Ein ernster Blick trifft mich: „Jürgen, bei dir muss sich grundlegend etwas ändern“, höre ich, „so jedenfalls kann es nicht weiter gehen!“ Meine Lehrerin meint es gut mit mir, das weiß ich. Wenn ich zurückschaue, dann sehe ich, dass sie natürlich recht hatte. Ich war vorlaut, habe ständig in die Klasse gerufen (so steht es zumindest auf den meisten Zeugnissen meiner Grundschulzeit). Ich hatte ständig weder Arbeitsmaterial noch Hausaufgaben dabei, war oft aggressiv und habe meine Mitschüler ständig drangsaliert.

Abrackern

Was soll aus solch einem Schüler werden, wenn er nicht irgendwann „die Kurve kriegt“? Aber leichter gesagt als getan. Gerade gestern habe ich mich mit einem Lehrer unterhalten, der viele Jahre lang in einem Brennpunkt im Ostteil Berlins gearbeitet hatte. Er hatte irgendwann resigniert. Er erzählte davon, wie er sich Jahr für Jahr für seine Schülerinnen und Schüler abrackerte, um dann zu sehen, dass sie doch scheiterten.

Die Kurve kriegen

Kaum einer, so berichtet er, hat die Kurve bekommen. Als er in der achten Klasse einen Schüler fragte, was er denn mal werden wolle, antwortete der: „Na, Hartzer, wie meine Mutter…“ Der Junge meinte es ernst. Die Kurve kriegen, das Ruder ‚rumreißen, aus dem Sumpf ausbrechen – das ist alles andere als leicht, wenn man keine andere Perspektive sieht oder eine Vision hat. Einer von Hundert, so erzählt der Lehrer weiter, hatte eine Vision und ist dem Elend entkommen.

Spiegel vorhalten

Die meisten von uns sind nicht so. Wir sind doch gute Menschen, haben unser Leben im Griff. Haben wir? Jesus hält den Menschen, die sich darüber aufzuregen, dass er zu den ganz Unbeliebten, den Falschen, den Betrügern gegangen ist, einmal einen mächtigen Spiegel vor.  Seine Antwort: „Ich bin gekommen, um Sünder zur Umkehr zu Gott zu rufen, und nicht solche, die sich sowieso für gut genug halten“ (Lukas 5,32).

Falsche Ausrichtung

Jesus benutzt hier das griechische Wort „Hamartia“ (ἁμαρτία) für das deutsche Wort Sünde, was wir wahrscheinlich ebenso wenig verstehen wie das Original. Hamartia bedeutet so viel wie „das Ziel verfehlen“. Wenn ich mit einem Bogen auf eine Zielscheibe ziele und ein paar Grad abweiche, dann trifft der Pfeil die Scheibe nicht, sondern fliegt ins Nichts. Sünde bedeutet also, dass ich mein Leben falsch angerichtet habe. Und die Folgen sind die gleichen wie bei Pfeil und Bogen. Ich werde das Ziel nicht treffen.

Zum Scheitern führen

Meine Lehrerin damals hat erkannt, dass ich auf einem Weg war, der zum Scheitern führte und hat mir ihre Hand gereicht, um mir zu helfen. Bei mir war das so offensichtlich, dass man blind hätte sein müssen, wenn man es nicht gesehen hätte. Schaue ich heute in den Spiegel, dann denke ich gerne: „Du hast es geschafft! Du bist ein feiner Kerl!“ Aber genau davor warnt Jesus uns. Ein Pfeil braucht eben nur ein paar Grad falsche Ausrichtung, um am Ziel vorbeizuschießen.

Veränderung

Umkehr (im Griechischen metanoia / μετάνοια) bedeutet laut Definition „eine transformative Veränderung des Herzens“ – Umkehr bedeutet nicht, dass ich der Lehrerin verspreche, mir Mühe zu geben, ein bisschen netter, ein bisschen organisierter und ein bisschen zuverlässiger zu werden. Umkehr bedeutet, dass ich eine Veränderung meines Herzens erlebe und deswegen einen ganz anderen Weg einschlage.

Am Ziel vorbei

Und, wenn ich ehrlich bin – schulisch, beruflich und familiär habe ich „die Kurve gekriegt“, aber, es gibt noch genügend Bereiche in meinem Leben, in denen ich nicht so lebe, wie Gott es sich wünscht, in denen ich, wenn ich ehrlich bin, am Ziel vorbei schieße. Und für diese Bereiche ruft mich Jesus: „Wenn du Veränderung haben willst, dann nimm wahr, wo du falsch liegst und kehre um. Wenn du denkst, du bist gut genug, dann kann ich nicht helfen.“

Bin ich zu stolz oder höre ich die Worte?

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de