Der Vater hält seinen Sohn im Arm

Von zu Hause fortlaufen

Ich muss noch ziemlich jung gewesen sein, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, da wollte ich von zu Hause abhauen. Ich hatte irgendwo draußen beim Spielen meine Zahnspange verloren und erwartete zu Hause ein furchtbares Donnerwetter. Also beschloss ich, von zu Hause fortzulaufen. Meine Reise als Weltenbummler endete jedoch schon kurz nach Einbruch der Dunkelheit, als ich voller Angst wieder vor der heimischen Haustür stand.

Aber anstatt den erwarteten ordentlichen „Hintern voll“ zu bekommen, zeigte meine Mutter eine sehr seltene Gemütsregung (allein deswegen ist sie mir in Erinnerung geblieben). Als sie die Tür öffnete, hatte sie Tränen in den Augen, schloss mich in ihre Arme und sagte mir, dass sie fast gestorben sei vor Angst um mich. 

Meine Mutter hatte eigentlich eine sehr „lockere Hand“ und war, was Emotionen anging, durch ihren heftigen Alkoholkonsum absolut unberechenbar. Aber, als ich als Kind nicht nach Hause kam, das hat sie wohl in Mark und Bein erschüttert. Sie zeigte mir ihre Annahme.

Nach Hause

In der Geschichte, die Jesus erzählt, kommt der Sohn auch irgendwann zu der Erkenntnis, dass es das Beste sei, wieder nach Hause zu seinem Vater zu gehen. Er hatte sich sein Erbe zu Lebzeiten schon auszahlen lassen und hatte alles verprasst. Als er mit Nichts dastand, brach im Land auch noch eine Hungersnot aus. Er schaffte es zwar, einen Bauern zu überreden, dass er dessen Schweine hüten durfte, aber die Not war so groß, dass er trotzdem hungerte. Also beschloss er schweren Herzens, wieder nach Hause zu seinem Vater zu ziehen. Kann er auf Annahme seines Vaters hoffen?

„Der Sohn machte sich auf den Weg und ging zurück zu seinem Vater. Der erkannte ihn schon von weitem. Voller Mitleid lief er ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (Lukas 15,20 – HfA).

Rührende Wendung

Eine rührende Wendung. Was mich wirklich bewegt, ist ein kleines Detail. Der Vater „erkannte ihn schon von weitem“ heißt es.  Das kann nur eines bedeuten: Der Vater hat seinen Sohn so sehr vermisst, dass er immer und immer wieder Ausschau nach ihm gehalten hat. Er hat seinen Alltag nicht einfach weiter gelebt, als wäre nichts geschehen – er hatte Sehnsucht nach seinem Kind. Er schaut immer und immer wieder, ob der Sohn doch auftaucht – und dann, als er ihn in der Ferne sieht, lässt er alles stehen und liegen und läuft ihm entgegen. Voller Annahme nimmt er ihn in die Arme.

Gott vermisst uns

So ist Gott. Er ist kein Rache-Engel, der sich freut, wenn wir ohne ihn scheitern. Er ist nicht unberechenbar, wie der Alkohol meine Mutter hat werden lassen. Er ist wie ein liebender Vater (eine liebende Mutter), der sich nach uns sehnt, wenn wir fortgelaufen sind, der Ausschau nach uns hält, der uns mit offenen Armen entgegenläuft. Das habe ich früher, als ich noch kein Christ war, nicht verstanden. Diese bedingungslose Annahme verstehe ich auch heute oft nicht.

Annahme in Liebe

Aber Gott ist so. Ganz gleich, ob ich noch nie etwas mit ihm zu tun hatte oder ob ich als langjähriger Christ wieder einmal meinen eigenen Dickschädel durchsetzen musste – es braucht nur genau die eine Entscheidung, die auch der Sohn getroffen hat („Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen“ Lukas 15, 18), um zu erleben, dass Gott auf uns wartet, nach uns Ausschau hält, Sehnsucht nach uns hat: Es folgen keine Vorwürfe, keine Moralpredigten, keine Bestrafungen, sondern eine Annahme in Liebe!
 

Gott wartet auf uns

Ich wünsche dir und mir, dass wir das bewusst immer wieder (oder auch zum ersten Mal) erleben, wie Gott auf uns wartet, uns entgegenläuft und uns in den Arm nimmt. 
 
Gebet
Vater, hilf uns, dass wir den Mut haben, uns zu dir aufzumachen. Und dann zeig uns, dass du derselbe liebende Vater bist, wie der, von dem Jesus erzählt. AMEN.
 
Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de