Mann steht in der Abendsonne im Wasser

Menschen haben Fragen

„Wo war denn die Kirche, als Corona ausbrach und die Menschen Fragen hatten?“ Solche oder ähnliche Sätze habe ich oft in den letzten zwei Jahren gehört. Und ich kann sie ein Stück nachvollziehen. Besonders im ersten Lockdown Anfang 2020 hatten doch viele Menschen, die ich kenne, den Eindruck gewonnen, die eine oder andere Gemeinde würde sich ein Stück „weg-ducken“. Und jetzt haben Menschen wieder ähnliche Fragen: 

Menschen haben Angst

„Wo ist denn die Kirche, gerade jetzt, wo so viele Menschen Angst haben und Halt brauchen?“, fragte mich gerade jemand. „Du bist doch auch einer von denen. Warum habt ihr so wenige Antworten auf die Fragen der Menschen?“

Erst fühlte ich mich ein ganzes Stück verletzt, denn, so dachte ich, ich tu doch, was in meinem Rahmen möglich ist. Aber ich muss erkennen und akzeptieren, dass die Kirche und wir Christen in der Gesellschaft nicht immer das beste Bild abgeben und viele Fragen im Raum stehen. 

Was vielleicht erst einmal wie ein „billiger Vorwurf“ aussieht, hat einen sehr tiefen Grund, denn manch einer, mit dem ich in den vergangenen Monaten gesprochen habe, hatte den Eindruck, die Kirche sei nicht mehr ein Anker in turbulenten Zeiten. 

Hilfe

Ja, es gibt großartige Initiativen in Kirchen und Gemeinden – eine Kirche bei mir gleich um die Ecke beherbergt derzeit 80 Geflüchtete, eine andere Gemeinde fährt immer wieder ganze LKW-Ladungen an die polnisch-ukrainische Grenze. Helfende Hände und offene Herzen (und Geldbeutel) gibt es derzeit viele. 

Die Frage ist: Wo ist Kirche als Kirche in diesen unruhigen Zeiten? Was macht Kirche denn aus, denn helfen können andere auch. 

Manche Gemeinden haben angefangen, regelmäßige Friedensgebete in ihren Räumen anzubieten. Großartig. Wenn wir eines im Moment brauchen, dann ist das Gebet! Aber werden diese Aktionen nicht ebenso verpuffen, wie damals 1989, als Tausende in die Kirchen der DDR zu den Friedensgebeten zogen? Kaum war die Mauer gefallen, kehrten ebenso viele der Kirche und dem Glauben wieder den Rücken.

Erwartungshaltung

Was mir bei all dem auffällt, ist, dass ich in einer gewissen Erwartungshaltung an eine Institution bin. Warum ist das eigentlich so? Weil Menschen Kirchensteuer zahlen oder spenden? Das mag in einem Hotel so funktionieren. Ich ordere etwas, das mir geliefert wird, und dann auf meiner Rechnung erscheint. 

Aber Kirche ist kein Hotel. Kirche ist auch kein Supermarkt, bei dem ich durch die Reihen gehe, um zu schauen, was ich heute gerade brauche. Kirche, das sind wir Christen. Wenn mich also jemand anspricht: „Wo ist denn die Kirche, jetzt, wo so viele Menschen Fragen haben und nach Antworten suchen?“, dann muss ich nicht mit dem Finger auf ein Gebäude zeigen oder auf eine Institution, sondern in erster Linie auf mich. 

Es gibt derzeit so viele Menschen, die tiefe Fragen haben, nach dem Leben und dem Sterben, nach dem Sinn und Gott. Habe ich eigentlich Antworten darauf? Ich erlebe gerade eine unheimliche Offenheit, was den Glauben angeht – und das, obwohl ein russischer Patriarch den Krieg gutheißt. 

Bin ich bereit?

Bin ich bereit, zu antworten? Nicht nur prinzipiell, sondern habe ich Antworten, wenn mich andere fragen, was ich glaube? Im 1. Petrusbrief gibt es ein mahnendes Wort dazu. Dort heißt es: „Seid immer bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn euch andere nach der Hoffnung fragen, die euch erfüllt. Begegnet ihnen freundlich und mit Respekt“ (1. Petrus 3, 15-16 HfA).

Drei Aspekte stechen in diesen Sätzen hervor: Bereit sein, Rede und Antwort geben und begegnen. Und zu allen dreien muss ich eine Entscheidung treffen: Bin ich überhaupt bereit? Kann und will ich Antworten geben? Mache ich mich auf, um Menschen zu begegnen?

Um mit der Bibel zu sprechen: Ich erlebe, dass die Ernte reif ist, dass viele Menschen wahnsinnig offen für Fragen des Glaubens sind und sich nach Antworten auf ihre Fragen sehnen. Werden wir reagieren?

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de