Beten

Ich habe mich als Kind oft gefragt, warum es in vielen Kirchen so ruhig zugeht. Das wäre andächtig, hat mir meine Ur-Oma immer gesagt. Irgendwann, als ich dann selbst Christ war, bin ich über die Stelle in der Bibel gestolpert, in der die Jünger Jesus baten, er solle ihnen das Beten beibringen. Eines der Schlüsselverse in der Antwort von Jesus war für mich Matthäus 6 Vers 6, wo er sagt: „Wenn du beten willst, zieh dich zurück in dein Zimmer, schließ die Tür und bete zu deinem Vater.“

Das war sicherlich auch so gemeint, dass ich „andächtig“ sein soll, wenn ich bete, mich also ähnlich verhalte, wie in der Kirche. Aber ich fühle mich nicht immer danach. Es gibt Momente, da möchte ich schreien vor Wut. Es gibt Klagen, die ich vor Gott bringen möchte, die ich nicht „andächtig“ und „leise“ formulieren kann. Ich bin manchmal so bewegt, dass ich vor Aufregung auf meinem Stuhl hin und her rutschen möchte oder so fröhlich, dass ich gar nicht zur Ruhe komme.

Als ich mir angeschaut habe, wie Helden der Bibel gebetet haben, habe ich dann erstaunliche Entdeckungen gemacht. König David schreibt z. B. in einem seiner Lieder: „Ich schreie zum HERRN um Hilfe und flehe laut um sein Erbarmen. Ihm klage ich meine ganze Not; ihm sage ich, was mich bedrängt“ (Psalm 142). David hat also zum Herrn geschrien? Klingt nicht so richtig andächtig.

Tanzen

An einer Stelle heißt es, David hätte vor Freude so sehr getanzt, um Gott zu loben, dass seine Frau, die das beobachtete, sich wahnsinnig für ihn schämte (2. Samuel 6). Auch das passt nicht in das Bild von andächtigem Gebet.

Einsamer Ort

Dennoch ist es richtig und wichtig, was Jesus sagt – wenn du beten willst, zieh dich zurück an einen einsamen Ort. Er selbst hat es immer wieder getan. Und das nicht die „obligatorischen 60 Sekunden“, die mein Gebet manchmal nur dauert. Es heißt an verschiedenen Stellen, dass Jesus sich an einen einsamen Ort zurück zog, um die ganze Nacht mit seinem himmlischen Vater zu reden.

Bete zu deinem Vater

Ich denke, alles ist richtig. Beten kann kurz und knackig sein oder lang und ausdauernd, laut oder leise, leidenschaftlich oder andächtig – je nachdem, wie es mir geht. Ein Schlüssel dafür ist der kleine Hinweis ganz am Schluss des Verses: „Bete zu deinem Vater!“

Wenn ich mir anschaue, wie meine Kinder mit mir sprechen, dann ist das oft viel natürlicher, als die Art, wie ich zu Gott rede. Meine Kinder sprengen auch schon mal eine andächtige Stimmung vor Aufregung und Freude. Sie schreien auch mal, wenn sie wütend sind und sie weinen, wenn sie traurig sind. Und, wenn ich ehrlich bin, dann gibt es Momente und Situationen, da möchte ich das auch vor Gott tun – lachen, weinen, meckern, tanzen.

Rat von Jesus

Und plötzlich bekommt der Rat von Jesus eine ganz andere, eine fast seelsorgerliche Bedeutung. Wenn ich in mein Kämmerlein gehe, dann kann ich mich zum Einen besser auf das Gebet, mein Reden mit Gott, fokussieren. Ich werde nicht so leicht abgelenkt.

Ich kann mich auch leichter öffnen und z. B. einfach mal Dampf ablassen, wenn ich wütend bin. Und, wenn ich traurig bin oder Sorgen habe, lasse ich eher Emotionen zu, als wenn andere dabei sind. Allein in meinem Zimmer zu beten ist also gar nicht so verkehrt.

„Gebets-Home-Zone“

Wenn du dir eine „Gebets-Home-Zone“ einrichtest, in der Du ungestört bist, dann hält dich vielleicht die Scham erst einmal zurück, dich deinen Gefühlen hin zu geben. Wenn du aber erlebst, dass dir vor Gott nichts peinlich sein muss (ER kennt dein Herz – und ER liebt es, wenn du ehrlich zu dir selbst bist), dann merkst du, wie gut es tut. Dann ist Gebet nicht Geplapper (wie Jesus es bei Menschen nennt, die das Gebet augenscheinlich nicht Ernst nahmen), sondern wirkliche Kommunikation mit deinem himmlischen Vater – mit Lachen und weinen, Freude und Wut, Kummer und Trost, Sorge und Zuversicht, Angst und Geborgenheit. Und das tut so gut!

Sei gesegnet!

https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary GottinBerlin.de