Samuel Koch

Wer kennt ihn nicht? Den Kunstturner Samuel Koch, der nach 37.230 Trainingseinheiten seinen Körper beherrschte wie kaum ein anderer und trotzdem 2010 in der Fernsehsendung „Wetten, dass…?“ vor laufender Kamera einen schweren Unfall mit 4-fachem Genickbruch erlitt. Seitdem ist er vom Hals abwärts gelähmt. Vorige Woche war er in Berlin, erzählte aus seinem Leben, las aus seinen neuesten Büchern („Rolle vorwärts“, „Steh auf!“) und beeindruckte uns mit Gedanken von großer Tiefe. Unglaublich, dass er bis heute seinen Lebensmut nicht verloren hat, sondern sogar noch strahlen kann!

 

 

„Stell dich nicht so an“

Oft werde Samuel Koch gefragt, warum er so strahle. Er antworte dann, dass er einerseits nahe an der Sonne gebaut sei und andererseits ihm die Erziehung dies auferlegt habe. „Stell dich nicht so an!“, ermahnte ihn seine Mutter schon in jungen Jahren. Das sage er sich oft selbst, wenn er wieder Schweres ertragen muss.

Eine Dankbarkeitsliste erstellen

Es gebe ihm aber auch Hoffnung, dass das Leben nicht in der Wiege beginnt und im Sarg endet. Samuel Koch ist überzeugt davon, dass dieses Leben nicht alles sei und das Beste erst noch komme. Dadurch relativiere sich vieles Unschöne und die Perspektive auf das Leben verändere sich. So erstellt er sich regelmäßig eine Art Dankbarkeitsliste und sei selbst überrascht, wie viele Dinge es in seinem Leben gebe, für die er dankbar sein kann. Damit sollte ich auch beginnen, dachte ich mir, wenn die kleinen Widrigkeiten des Alltags mir mal wieder die Stimmung vermiesen wollen.

„Innere Kraft“

Auch eine „innere Kraft“ helfe ihm, Samuel Koch, weniger schöne Dinge auszuhalten und nicht in Verzweiflung zu geraten. Niki Lauda habe sie nach seinem Unfall aus seiner Wut gegen Gott bezogen, der nicht verhindert hatte, dass er fast in seinem Rennwagen verbrannt war. Ob es bei ihm auch so war, fragte ich Samuel Koch. Nein, antwortete er, seine Wut habe er eher auf sich selbst gerichtet, weil er schon zweimal die Aktion bei „Wetten, dass…?“ abgesagt hatte. Sein Bauchgefühl hatte dagegengesprochen, aber dann habe er die Wette doch gewagt.

Warum läßt Gott Leid zu?

Zur Frage, warum Gott das Leid zulasse, habe er, Samuel Koch, auch keine schlüssige Antwort, fände aber Trost in Bibelworten wie: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen (Römer 8,28).“
Allerdings habe er die Existenz Gottes auch schon als Ganzes hinterfragt: »Ist der Glaube oder überhaupt Religion vielleicht nur ein von Menschen gemachtes psychologisches Konstrukt, das uns irgendwie über Wasser halten soll, als Notlösung für einen vermeintlichen Sinn im Leben? Das Grundvertrauen, das ich vorher Gott gegenüber empfunden hatte, war erschüttert worden…

Wohin sonst sollte ich noch gehen?

Das erste Mal, dass ich ahnte: „Es gibt ihn doch“, war am Anfang der Reha in der Schweiz. Drei endlose Monate hatte ich auf dem Rücken gelegen, den Kopf eingespannt in einer Schraubstockkonstruktion.
Kurz danach durfte ich ein paar Minuten im Rollstuhl sitzen, man fuhr mich auf den Balkon. Schmerzen, Frustration, alle Träume für ewig zerplatzt? In diesem Moment war es die einzig logische Konsequenz, mich an Gott zu wenden. Wohin sonst sollte ich jetzt noch gehen? Das Loch in meinem Hals, durch das ich bis vor kurzem noch beatmet worden war, war noch nicht ganz zugewachsen, als ich zum ersten Mal nach langer Zeit bewusst durch Mund und Nase einatmete…

Freude, die von innen kommt

So etwas wie ein Lächeln begann unbewusst in meinem Gesicht zu kitzeln. Ich empfand Dankbarkeit für die wirklich netten Krankenschwestern und Therapeuten. Dann dachte ich an meine Familie und die Freunde und plötzlich verspürte ich – scheinbar grundlos – Freude, die von innen heraus kam… Rückwirkend würde ich diesen Moment als inneren Frieden betiteln. Vielleicht war er ja eine erste Ahnung davon, dass es trotz allem immer noch Grund zur Hoffnung auf ein lebenswertes Leben gibt, dass ich eines Tages wieder glücklich sein kann.

Abenteuerlustig vorwärts gehen

Tränen trocknen, Schmerzen lindern – das geht auch schon jetzt. Deshalb lasst uns weiter wach, neugierig und abenteuerlustig vorwärts gehen und versuchen, mit so vielen Menschen wie möglich jetzt und hier ein Stückchen Himmel auf Erden zu feiern.«

Buchtipps

Mit diesen Worten aus seinem Buch „Rolle vorwärts: Das Leben geht weiter als man denkt“ schloss der Abend. Ich kann nur empfehlen, es selbst zu lesen und an Menschen zu verschenken, die viel im Leben zu tragen haben. Das Buch weckt Mut und Hoffnung!

„Steh auf Mensch“

Zur Zeit lese ich gerade sein drittes Buch „Steh auf, Mensch! Was macht uns stark?“, (k)ein Resilienzratgeber – aber hilfreiche Gedanken darüber, was Menschen innerlich stärker macht zur Bewältigung von Krisen: „Für alles gibt es heutzutage Kurse, Scheine und Seminare; Kinder lernen in der Vorschule schon Englisch oder gar Chinesisch und werden auf alles Mögliche penibel vorbereitet, nur leider meist nicht auf das wahre Leben.“

Schon Kindern räumt man gern alle Schwierigkeiten aus dem Weg und verhindert dadurch, dass sie lebenstüchtig werden: „Stehauf-Fähigkeiten werden im Laufe des Lebens erworben durch Erfahrung, Nachahmen, Scheitern.“ – Ein Buch für Menschen, die sich innerlich weiterentwickeln wollen, aber auch andere stark machen wollen, wie z.B. Eltern, Lehrer und Erzieher. Kein Ratgeber für billigen Trost, sondern Lebenserfahrungen, wie man in schweren Zeiten den Fuß wieder auf den Boden bekommt – von einem, der aus eigenem Erleben schreibt.

Gerhard Lenz für GottinBerlin