Angeklagt
Sie steht vor Gericht. Angeklagt, sie habe den Patienten in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet, vom Glauben an Jesus Christus erzählt. Und das ist verboten in einem kommunistischen Land. Da hat ein Mensch keine Seele, sondern ein Partgeibuch. Da ersetzt das System die Familie. Da haben die Häuser kein Gesicht. Da ist der Tod das unausweichliche Ende.
Anders denkend
Und dann wagt es diese Frau, von einem Gott zu reden, der der Schöpfer der Welt ist und ewiges Leben anbietet. Dem alle Macht gehört im Himmel und auf Erden. Das lässt sich ein einheitsprogrammiertes Gehirn nicht bieten. So kann man eine systemorientierte menschenfeindliche Ideologie nicht in Frage stellen. Also wird jeder, der anders denkt, aus dem Weg geschafft.
Zerbrochenes
Sie weiß das. Sie ist in diesem System großgeworden. Und doch hat sie nie dazugehört. Von Kindheit an lebte sie mit der tiefen Sicherheit, dass es diesen Gott gibt und dass er sie liebt. In seinem Sohn Jesus beugte er sich nieder zu den Menschen, um sie zu sich zu ziehen. Immer wieder hatte sie erfahren, wie er tröstet, Mut macht, und tatsächlich Wunder tut. Wie konnte sie da schweigen, wenn einer weinte. Wie zusehen, wenn jemand am Leben verzweifelte? Mußte sie nicht reden von dem, der „das Zerbrochene wieder heil macht?“
Vor Gericht stehen
Und nun stand sie vor Gericht. Als bekannt wurde, dass sie angeklagt würde, rief jemand aus ihrer Gemeinde an und sagte: „Nimm dir keinen Anwalt. Ich habe eine feste Zusage von Gott bekommen. Er wird dir die richtigen Worte geben und für dich sprechen.“ So hatte sie sich der Anklage gestellt. Doch bevor man sie befragte, wurden ihr Papiere vorgelegt. Und da standen sie, die Namen vieler Menschen, die sie kannte, darunter auch mehrere, die zu ihren Christen-Freunden gehörten. Sie alle hatten sie bespitzelt und Berichte über sie abgeliefert.
Geheimnisvolles
Später wußte sie nicht mehr, wie sie die Verhandlung überstanden hatte. Sie hörte nur voller Staunen, dass man sie zu sechs Monaten Gefängnis veruteilte, die Strafe aber zur Bewährung aussetzte. Wie betäubt verließ sie den Gerichtssaal. Sie war frei. Irgendetwas Geheimnisvolles war geschehen, dass man sie mit diesem Urteil entließ.
Vertrauen
Draußen vor der Tür sah sie sich um. Wirklich, sie durfte gehen! Schien die Welt nicht plötzlich anders – leuchtender, heller und leichter? Dann aber legte es sich wie ein dunkler Schatten über sie. Was hatte man ihr angetan! Ihr Vertrauen mißbraucht, ihre Offenheit in den Schmutz getreten. Sie benutzt, um sich Vorteile zu verschaffen. Hilflos stand sie da. Es war, als rollte eine Welle des Bösen über sie. Konnte sie diesen Menschen jemals vergeben? Sie waren es doch, die sie vor Gericht gebracht hatten! In diesem Augenblick war es, als ob ein Schleier vor ihren Augen zerriß. Geradezu schmerzhaft empfand sie, wie fern ihre Ankläger von Gott waren. Viel mehr eingesperrt, als sie es jemals gewesen wäre. In einen Käfig voller Schuld und Verlorenheit. Mit einem Gesicht, das nur eine Fassade war, vor einem Haus voller Heuchelei.
Vergeben
Sie hatte das Gefühl, sie müßte ersticken. Da stand plötzlich das Wort vor ihr: „Von allen Seiten umgibst du mich, Herr.“ Und sie dachte: Wenn dieser Jesus mich umgibt, trifft ihn zuerst das Messer, das mich verletzen soll. Er empfindet den Schmerz noch viel stärker als ich. Er leidet zuerst, weil er die Menschen lieb hat. Und wenn ich nun mit ihm um alle die leiden, die so verloren sind, bin ich auch fähig zu vergeben. Dann kann ich mein Leid loslassen, weggeben an ihn, was man mir angetan hat.
Freispruch
Und plötzlich konnte sie es geradezu mit Händen greifen: Viel wichtiger als mein Schmerz und meine Vergebung ist der Freispruch dieser Menschen vor dem göttlichen Richter. Nur so können sie das Gefängnis verlassen, aus dem er auch mich einmal befreit hat, als ich ihm mein Leben anvertraute. Sagt er doch: „Wenn du bereust, vergebe ich dir deine Schuld nicht nur, es ist so, als ob ich sie völlig vergesse.“
Dr. Irmhild Bärend für GottinBerlin.de