Kulturelle Unterschiede
Als ich vor ein paar Jahren anfing, in einer internationalen, Englisch-sprechenden Gemeinde zu arbeiten gab es eine ganze Reihe Kultur-Schocks, die ich nicht erwartet hatte. Die Menschen, die die Gemeinde besuchten, kamen aus der ganzen Welt und brachten dementsprechend viele kulturelle Unterschiede und Ansichten über Gemeinde mit.
Irritation
Eine Sache, die mich anfangs ein Stück irritierte, war, dass ich auf einmal mit „Pastor“ angesprochen wurde. Ich sagte anfangs immer wieder: „Ich bin Jürgen“, – aber es blieb dabei. Wenn ich begrüßt wurde, wenn ich angesprochen wurde, wenn man sich bedankt hat oder auch, wenn man sich beschwerte, dann war ich „Pastor“. Das war nicht nur ungewohnt, sondern auch immer wieder ein Spiegel für mich.
Auf eine Stufe heben
Wir leben in einer Zeit, in der selbst Autoritäten wie die Polizei hinterfragt und oft nicht mehr ernst genommen werden. Und da ist das ein ganz komisches Gefühl, wenn man von einigen auf eine ungewohnte Stufe gehoben wird. Gefühlt war ich immer einer unter Gleichen. Ich stand halt (ab und zu) vorne und durfte predigen. Andere spielten Musik, bedienten den Video-Beamer, begrüßten Gäste oder schenkten Kaffee nach dem Gottesdienst aus. Natürlich waren wir ein Team – ich fühlte mich nicht als etwas Besonderes.
Hinterfragen
Manche aus der Gemeinde aber zeigten mir, sie würden in mir jemanden sehen, der Autorität hat – und damit auch eine wirklich manchmal skurrile Verantwortung. So beschwerte sich (nur als ein Beispiel) mal jemand darüber, dass ich mich zum Fotografieren mal auf einen Stuhl gestellt hatte. So etwas macht ein Pastor nicht. Alles, was ich sagte und vor allem auch, wie ich es sagte, alles, was ich tat oder wie ich es tat, musste ich plötzlich hinterfragen: Benimmt sich ein Pastor so? Redet ein Pastor so? Werde ich dieser „Rolle“ gerecht? Das war wirklich nicht einfach.
Raupe
Ich „war“ plötzlich jemand, weil ich eine Berufung von Gott bekommen hatte, die nötige Ausbildung aufweisen konnte und nun in der Gemeinde in Lohn und Brot stand. Aber ich war innerlich oft noch die Raupe und nicht der Schmetterling – tapsig, manchmal unbeholfen und nicht leicht und graziös.
Berufung
Das mit der Berufung ist so eine Sache: Gott beruft nicht nur Menschen in Ämter, sondern jeden von uns. Jesus selbst spricht diese Berufung aus: „Glaubt an das Licht, dann werdet ihr Kinder des Lichts werden.“ (Johannes 12,36). „Kind des Lichts“ werden – auch das klingt nach Verantwortung und Spiegel. Licht bedeutet, dass es daneben Dunkelheit gibt, sonst würde man es ja nicht sehen. Also schauen andere auf mich, eben, weil ich als „Kind des Lichts“ leuchte.
„Kind des Lichts“
Wie muss ich mich als „Kind des Lichts“ benehmen? Wo und wie muss ich handeln? Werde ich von anderen dabei nicht ständig beobachtet? Kann ich der Verantwortung überhaupt gerecht werden?
In der Gemeinde habe ich beschlossen, mein Bestes zu geben, wohl wissend, dass ich es bei so vielen Nationen und so vielen unterschiedlichen Ansichten nicht allen recht machen kann. Aber ich habe versucht, an mir zu arbeiten. Im „normalen“ Leben habe ich auch beschlossen, mein Bestes zu geben, wohl wissend, dass ich das allein nicht schaffe, mich so massiv zu ändern.
Glauben
„Kind des Lichts“ zu werden, da geht es weniger darum, dass ich massiv versuchen muss, mich charakterlich in irgendein Bild hineinzupressen. Wenn ich Licht werden will, muss ich an „das Licht“ glauben – das ist ER – Jesus – selbst. Jesus ist das Licht. „Glaubt an das Licht, solange noch Zeit dazu ist; dann werdet ihr Kinder des Lichts werden.“ Ich werde durch den Glauben zu Licht.
Glauben heißt: Vertrauen. Ich soll, kann und darf Jesus vertrauen, darf ihm meine dunklen Seiten hinlegen, meine Dunkelheit im Charakter, meine dunkeln Gedanken – dann wird ER sich kümmern, indem er die Dunkelheit ins Licht verwandelt. Wo Jesus an meine Seele, an meinen Charakter, an mein Leben darf, da kann es nicht dunkel bleiben.
Flugstunde
Als Pastor bin ich, glaube ich, bis zum Schluss eher die Raupe geblieben – trotz Berufung, Ausbildung und ganz viel Mühe. Bei Jesus hat der größte Teil der Verwandlung schon stattgefunden. Ich bin kein „Kind der Dunkelheit“ mehr, sondern ein „Kind des Lichts“, kein Sünder, sondern ein Königskind, keine Raupe mehr, sondern ein Schmetterling. Das hat Jesus mit seinem Tod und seiner Auferstehung schon alles getan. Jetzt muss ich nur noch fliegen lernen.
Und heute ist der Tag meiner nächsten Flugstunde.
Sei gesegnet!
Weitere Gedanken sowie ein Song zum Tag – zum selbst Lesen oder weiterleiten – gibt es hier: https://juergens-gedanken.blogspot.com
Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de