Diskussion im Lehrerzimmer
Da war er wieder, der Spruch. Ich sitze mit ein paar anderen Lehrern zusammen im Lehrerzimmer. Wir unterhalten uns darüber, ob wir den Krieg in der Ukraine im Unterricht thematisieren sollen oder nicht – und wenn ja, auf welche Art und Weise.
Ich selbst unterrichte nach meiner Freistunde eine sechste Klasse und bin mir sicher, die Kids wird das Thema nicht kaltlassen. Da dreht sich eine Kollegin um, schaut mich an und haut mir ein Bibelzitat um die Ohren: „Du müsstest doch gut über den Krieg sprechen können. Bei euch in der Bibel heißt es doch schon so schön »Auge um Auge und Zahn um Zahn!« Ihr Christen seid doch bei Krieg immer mit an vorderster Front!“
Wütend
Ich merke, wie Wut in mir hochsteigt. Dass in der Ukraine Christen andere Christen überfallen und töten, darüber bin ich wütend. Ich bin wütend darüber, dass die russisch-orthodoxe Kirche den Krieg gutheißt. So gratulierte der russische Patriarch Kyrill I Präsident Putin am 23.02. zum „Tag des Verteidigers des Vaterlandes“ und sieht im Militärdienst einen „Akt der Nächstenliebe“ – so ist es zumindest auf seiner Homepage zu lesen.
Es macht mich aber ebenso wütend, dass bei jeder Diskussion über den christlichen Glauben immer und immer wieder dieses Bibelwort zitiert wird, wenn grausame Gewaltanwendung mit einer kurzen, griffigen Formel angeprangert werden und das Christentum als gewaltbereite Religion hingestellt werden soll.
In seinem Kontext lautet der Satz: „Angenommen, zwei Männer kämpfen miteinander und stoßen dabei eine schwangere Frau so, dass ihr Kind zu früh geboren wird, aber kein weiterer Schaden entsteht; dann soll der Schuldige eine Geldstrafe zahlen, die ihm vom Ehemann der Frau auferlegt wird und die der Richter billigt. Wenn aber doch Schaden entsteht, wird die Strafe wie folgt festgelegt: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandwunde um Brandwunde, Verletzung um Verletzung, Strieme um Strieme“ (2. Mose 21, 25 HfA).
Lebensweisheit?
Gleiches mit Gleichem vergelten – aber nicht darüber hinaus. Das klingt für unsere Ohren heute noch grausam. Aber für die Zeit, in der dieses Gesetz verfasst wurde, war es absolut friedfertig, fast schon revolutionär. Denn nur wenige Jahre davor galten noch ganz andere Regeln. So heißt es im 1. Buch Mose: „Wenn Kain siebenfach gerächt wird, so soll Lamech siebenundsiebzigfach gerächt werden!“ (1. Mose 4, 24).
Also müsste es im Gesetz von 2. Mose (der sogenannte „Talion“) eigentlich heißen: „Nur Auge um Auge und nur Zahn um Zahn!“ – was natürlich immer noch alles andere als friedfertig ist. Habe ich noch als Kind von meinen Eltern gehört: „Hau doch mal zurück! Wehr dich doch mal!“ (was ich dann auch häufig und heftig getan habe), würde das heute kaum noch jemand seinem Kind als Lebensweisheit mit auf den Weg geben.
Jesus selbst rief in seiner Bergpredigt dazu auf (und das sollten wir nie vergessen): »Ihr wisst, dass den Vorfahren auch gesagt wurde: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹‹ Doch ich sage euch: Leistet keine Gegenwehr, wenn man euch Böses antut! Wenn jemand dir eine Ohrfeige gibt, dann halte die andere Wange auch noch hin!« (Matthäus 5, 38-39 HfA).
Sorgen um ein friedfertiges Herz
Damit lösen wir immer noch nicht den Krieg in der Ukraine. Damit geben wir keine billigen, moralischen Ratschläge an unsere Geschwister, die gerade überfallen werden und auch nicht an die Geschwister, die gerade dabei sind, ein anderes Land zu überfallen.
Aber wir sehen eben doch, dass Jesus alles andere möchte als Krieg, dass ein Christ alles andere sein sollte als ein Kriegstreiber – und ich sehe, dass ich mich um die Wut, die immer mal in mir aufsteigt, kümmern muss, damit ich verbalen Angriffen liebevoll begegnen kann.
Last uns beten…
inständig um Frieden! – für die Menschen in der Ukraine und in Russland, denn beide brauchen Jesus dringender denn je; – für die Politiker, denn niemandem ist geholfen, wenn man uns irgendwann eine Waffe in die Hand drückt, weil ein dritter Weltkrieg losgetreten wurde.
Lasst uns aber auch für uns selber beten, für ein friedfertiges, weiches, liebendes Herz, damit wir nicht auch hart werden, uns von der Wut kontrollieren lassen und dem Hass Raum geben. Das haben wir bitter nötig – nicht nur wegen des Überfalls auf die Ukraine.
Sei gesegnet!
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Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de